Öffentlicher Abendvortrag
Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte
Institut für Politikwissenschaft, Universität Duisburg-Essen
Direktor der NRW School of Governance
zum Thema
Veränderung – Regieren und Wählen nach der Zeitenwende
Der Begriff der Zeitenwende ist seit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz vom 27.2.2022 als Reaktion auf den Einfall Russlands in die Ukraine fraglos eine der am häufigsten verwendeten, modischer Weise überhöhten politischen Vokabeln der Gegenwart. Derartige Umschlagpunkte der Geschichte gab es freilich auch früher schon. An der Lahn, in Bad Ems und Nassau, lässt sich das besonders intensiv nachempfinden. In Nassau, dem Geburtsort des Freiherrn vom Stein, in das dieser nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon 1806 und seiner Entlassung zu Beginn des Jahrs 1807 zurückkehrte, steht der von Stein in späteren Jahren im Gedenken an den Sieg in den nachfolgenden Befreiungskriege errichtete Freiheitsturm, und in Bad Ems erinnert ein Statue des damaligen König Wilhelm von Preußen an einen Vorgang („Emser Depesche“), der mittelbar zum deutsch-französischen Krieg und in der Folge zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs führte. An diesen historischen Orten treffen sich Jahr für Jahr auf Einladung der Freiherr vom Stein-Gesellschaft mit Unterstützung der G. und I. Leifheit-Stiftung junge Führungskräfte, um sich ein Wochenende lang über aktuelle Fragen auszutauschen. Den Beginn der Veranstaltung markiert stets durch einen Abendvortrag, der auch der Öffentlichkeit zugänglich ist. In diesem Jahr war es der Politikwissenschafter Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, den der Präsident der Freiherr vom Stein-Gesellschaft, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, am 27.10.2023 gemeinsam mit dem Stellvertretendem Vorsitzendem der G. und I. Leifheit-Stiftung, Dr. Josef Peter Mertes, und dem Bürgermeister von Nassau, Manuel Liguori MdL, vor zahlreich erschienenem Publikum in der Nassauer Stadthalle empfangen konnte.
Korte, nicht zuletzt durch seine Wahlanalysen im ZDF bekannt, sprach über die Veränderungen, die es im politischen Systems Deutschlands nach der „Zeitwende“ gegeben hat. Eine dieser Veränderungen hatte sich erst wenige Tage zuvor mit dem Austritt von Sahra Wagenknecht aus der Partei DIE LINKE und der damit verbundenen Ankündigung, eine eigene, neue Partei gründen zu wollen, quasi in einem Paukenschlag manifestiert. Ob sich diese neue Partei dauerhaft etablieren wird und welche Stimmenanteile sie wird erzielen können, bleibt abzuwarten. Auf erheblichen Zuspruch stößt dagegen derzeit am rechten Rand des Parteienspektrums die AfD, deren Ergebnisse in den bayerischen und hessischen Landtagswahlen am Wochenende zuvor mit Zuwächsen um 4,4 auf 14,7 Prozent (Bayern) bzw. um 5,3 auf 18,4 Prozent (Hessen) ein deutliches Zeichen gesetzt hatten. Der große Verlierer dieser Wahlen ist dagegen die Berliner Ampel, deren Stimmenanteil in Bayern um 6,8 Prozent und in Hessen sogar um 12,2 Prozent gesunken ist.
Korte führte diese Verluste nicht zuletzt auf den Umgang der Koalition mit dem sog. „Heizungsgesetz“ zurück. Dadurch sei das Vertrauen in die Regierung, deren Krisenmanagement nach Kriegsbeginn auch deshalb so gut gelungen sei, weil die Koalitionsparteien im Sinne eines gelingenden und dynamischen Miteinanders vielfach über ihren eigenen Schatten gesprungen seien, nachhaltig gestört worden. Auch die derzeitigen politischen Antworten auf die Migrationsfrage stärkten die AfD.
Glaubt man Korte, so muss sich dieser Trend keineswegs fortsetzen. Die Deutschen seien „Extremisten des Normalen“. Sie neigten nicht dazu, polarisierenden Persönlichkeiten ihre Stimme zu geben, sondern setzten vielmehr auf verlässlich, wenig spektakuläre Verwalter der Macht sowie auf Kontinuität. Dass Scholz der „merkeligste“ der Kanzlerkandidaten war, habe ihm nicht geschadet, sondern genutzt. Auch jetzt noch dominierten mit weitem Abstand die Parteien der Mitte – eine Besonderheit des deutschen politischen Systems. Diese hätten es im Übrigen auch in der Hand, die AfD wieder zurückzudrängen. Dazu brauche es bspw. einer anderen Migrationspolitik und mehr Investitionen in Infrastrukturen. Auch die anstehenden Transformationsentscheidungen müssten nicht zu einer politischen Radikalisierung führen. Dazu bedürfe es aber Transparenz, besserer Erklärungen, fairer Lösungen und vor allem sei es erforderlich, die Mitte der Gesellschaft mitzunehmen – alles Aspekte, die bei der Erarbeitung des Heizungsgesetzes nicht ausreichend beachtet worden seien. Ob sich die Berliner Ampel von ihrer aktuellen Krise nochmals erholen werde, sei offen; insgesamt bestehe aber Anlass, mit großer Zuversicht auf die künftige politisch Entwicklung Deutschland zu blicken. Eine Zuversicht, das zeigten die durchaus kritischen Nachfragen aus dem Publikum, die derzeit nicht von jedem geteilt wird.[1]
Dr. Klaus Ritgen, Berlin
Der Vortrag bereitete den Boden für die Diskussionen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 7. Nassauer Dialogs – dem Förderprogramm für Nachwuchs-Führungskräfteder Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V. – an den beiden Folgetagen, die sich auf erforderliche Reformen im Bereich der Arbeitswelt fokussiert haben. Unter dem Titel "Arbeit der Zukunft – Zukunft der Arbeit" sollten ausgewählte und hochqualifizierte Young Professionals aus dem gesamten Bundesgebiet für aktuelle politische Fragen begeistert und in ihrem Engagement gefördert werden.
Zur Person:
Karl-Rudolf Korte (Quelle: karl-rudolf-korte.de)
Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte wurde zum Dr. phil. an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz promoviert und habilitierte sich zum Dr. rer.pol.habil. an der Ludwig Maximilans-Universität München. 1998 erhielt er den Preis der Universität München für die beste Habilitationsschrift. Vertretungsprofessuren in Trier, Köln und München.
Der 64-jährige Familien- und Großvater ist seit 2003 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen im Fachgebiet "Politisches System der Bundesrepublik Deutschland". Rufe 2008 an die Universitäten nach Bonn und 2013 nach München konnte er ablehnen.
2006 wurde er zum "Professor des Jahres" in der Kategorie Geistes-, Gesellschafts- und Kulturwissenschaften durch das Fachmagazin UNICUM-Beruf ausgezeichnet.
Seit der Gründung im Jahr 2006 ist er Direktor der NRW School of Governance (Universität Duisburg-Essen). Von 2010 bis 2017 war er Dekan der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften; von 2013 bis 2015 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft. Er ist Mit-Herausgeber der "Zeitschrift für Politikwissenschaft. Journal of Political Science". Seit 2018 ist er ordentliches Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Salzburg). Seit 2021 ist er Vizepräsident des Deutschen Hochschulverbandes. Er leitet die international besetzten wissenschaftlichen Beiräte der Bundeskanzler Helmut Kohl-Stiftung sowie des Hauses der Geschichte NRW.
Einer breiten Öffentlichkeit ist Korte seit vielen Jahren durch regelmäßige Auftritte und pointierte Analysen im ZDF, Deutschlandfunk, WDR, Phoenix und dem SWR bekannt.
Aktuelle Publikationen:
"Gesichter der Macht. Über die Gestaltungspotenziale der Bundespräsidenten" 2019 (Frankfurt/New York, Campus)
"Coronakratie. Demokratisches Regieren in Ausnahmezeiten" 2021 (Frankfurt/New York, Campus)
"Heuristiken des politischen Entscheidens" 2022 (Berlin, Suhrkamp)
"Regieren in der Transformationsgesellschaft" 2024 (Wiesbaden, Springer VS)
Im Januar 2024 erscheint bei Campus seine Monographie: "Wählermärkte. Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik".
Kontakt:
krkorte@uni-due.de
Instagram: krkorte
www.nrwschool.de
www.karl-rudolf-korte.de
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