BRDDR – Arenen des Übergangs in der Vereinigungsgesellschaft
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Thomas Großbölting
Tagungsbericht
von Lillith Buddensiek:
BRDDR - Arenen des Übergangs in der Vereinigungsgesellschaft, 4.-6. November 2015, Gut Siggen. In: http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6351
Der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung waren zweifellos von nationaler, in vielfacher Hinsicht auch europäischer und globaler Bedeutung. Politikhistorisch trennten die Jahre 1989/1990 das Vorher und das Nachher deutlich, als sich die DDR – so die völkerrechtliche Sprachregelung – der alten Bundesrepublik anschloss. Diese Entwicklung markierte die Überwindung der SED-Diktatur wie auch das Ende der nationalen Teilung. Der Rückblick auf diese Ereigniskette und deren empathische Deutung mitsamt populären Versatzstücken wie Freiheit, Demokratisierung und Wohlstand stand lange Zeit für die Gründungsgeschichte des wiedervereinigten Deutschlands wie auch eines sich erweiternden Europas.
Mit dem Abstand von mittlerweile einem Vierteljahrhundert wird diese emphatische Lesart blasser. Nicht nur die Verwerfungen der Banken- und Eurokrise seit 2008, sondern auch die Entwicklungen auf nationaler und europäischer Ebene lassen die Ambivalenzen der Entwicklung seit 1989 deutlicher hervortreten. Aus der Zäsur wird aus der distanzierten Rückschau ein immer weicherer Übergang, der die Zeit des Kalten Krieges deutlicher mit den 1990er Jahren verbindet. "Wir sind vereint, aber noch nicht eins", so resümiert jüngst eine Studie des Zentrums für Sozialforschung der Universität Halle den Stand der deutschen Einheit und verweist damit deutlich auf das Gewicht, das der Teilungsgeschichte auch heute noch zukommt. Von einer "Meistererzählung" Europas mit den Glücksversprechen von Demokratie und Überwindung von Armut und Krieg sind wir im Zeichen der Ukraine-Krise weiter entfernt denn je.
Diese Beobachtungen waren Anlass, mit dem wissenschaftlichen Symposium, dem "11. Nassauer Gespräch", einen Anstoß zu einer Historisierung der Vereinigungsgesellschaft zu geben. Prof. Dr. Thomas Großbölting, Universität Münster, der die wissenschaftliche Leitung übernommen hat, plante die Konzentration auf das geteilte und dann wiedervereinigte Deutschland in seinen europäischen Bezügen. Die Frage nach dem "Zäsurcharakter" von 1989 war Auftakt dazu, nach der gemeinsamen Basis und dem Trennenden zu fragen, welches Ost und West vorfanden und verarbeiteten:
Die Ergebnisse des wissenschaftlichen Symposiums werden in einem Sammelband publiziert.
Die Veranstaltung fand in Räumen und mit Unterstützung der Alfred-Toepfer-Stiftung im Seminarzentraum auf Gut Siggen in Ostholstein statt.
Es handelte sich um einen geschlossenen Teilnehmerkreis.
Programm:
Mittwoch, 4. November 2015
18.30 Uhr | Abendessen
19.30 Uhr | Begrüßung & Einführung
Prof. Dr. Thomas Großbölting (Münster)
20.00 Uhr | Das "Volk" von 1989 als Praxis, Projektion und Erinnerungsort. Begriffsgeschichtliche Beobachtungen
Ralph Jessen (Köln)
Donnerstag, 5. November 2015
8.30 Uhr | Frühstück
Sektion 1: Das Verhältnis zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft
Leitung: PD Dr. Winfried Süß (Potsdam)
9.15 Uhr | Eine Frage der Werte: Die Währungsunion 1990 als kulturtechnischer Prozess
Dr. Ursula M. Dalinghaus (Irvine)
10.00 Uhr | Im Ausnahmezustand zwischen Plan und Markt. Die Manager der Treuhandanstalt und die Umgestaltung der ostdeutschen Wirtschaft in den frühen 1990er Jahren
Marcus Böick (Bochum)
10.45 Uhr | Kaffeepause
11.15 Uhr | Unter ostdeutschen Dächern. Wohneigentum zwischen Enteignung, Aneignung und Neukonstitutierung der Lebenswelt in der langen Geschichte der "Wende"
Dr. Kerstin Brückweh (Tübingen/Duisburg-Essen)
12.00 Uhr | Die ökonomische Seite der Freiheit: Die Bürgerrechtsbewegung und das "Volkseigentum"
Dr. Rüdiger Schmidt (Münster)
13.00 Uhr | Mittagessen
Sektion 2: Identitäten und kollektive Selbstbilder
Leitung: Prof. em. Dr. Hans-Ulrich Thamer (Münster)
14.00 Uhr | Einschluss durch Ausschluss: Gedächtnispolitik und biographische Sinnbildung infolge der Vereinigung von Bundeswehr und NVA
Dr. Nina Leonhard (Hamburg)
14.45 Uhr | Der lange Weg aus der zweigeteilten Welt. Selbst- und Fremverortungen in der Außen- und Europapolitik
Dr. Angela Siebold (Heidelberg)
15.30 Uhr | Kaffeepause
16.00 Uhr | Vergangenheit als politische Ressource: DAs Beispiel der Stasi-Unterlagen-Behörde (BStU) im Kontext der "Stasi-Debatte"
Markus Goldbeck (Münster)
16.45 Uhr | Neuinterpretationen der Vergangenheit in der Transformationsgesellschaft: "Stasi" und "IM" als Chiffre des sozialistischen "Unrechtsstaates"
Dr. Sabine Kittel (Münster)
18.30 Uhr | Abendessen
20.00 Uhr | offene Abendgestaltung
Freitag, 6. November 2015
8.30 Uhr | Frühstück
Sektion 3: Lebensweisen und Lebensstile: Soziale und individuelle Ordnungsvorstellungen
Leitung: Prof. Dr. Michael Schwartz (Berlin)
09.15 Uhr | Zwischen staatlichen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Eigendynamiken: Paarbeziehungen in Ostdeutschland auf dem Weg vom Realsozialismus zum Postsozialismus
Dr. Eva Schäffler (Salzburg)
10.15 Uhr | Die ostdeutsche "Scheidungsgesellschaft" 1980-2000
Anja Schröter (Potsdam)
11.00 Uhr | Coming out in die deutsche Einheit. Vom Aufbruch und Abschied der DDR-Schwulenbewegung
Teresa Tammer (Berlin)
12.30 Uhr | Mittagessen
13.00 Uhr | Adlige Rückkehrer und Dorfbewohner zwischen Reden und Schweigen - Eine Oral-History-Studie über ein brandenburgisches Gutsdorf nach 1989/90
Dr. Ines Langelüddecke (Hamburg)
13.45 Uhr | Neue und alte soziale Ungleichheiten. Armut in der Vereinigungsgesellschaft
Dr. Christoph Lorke (Münster)
14.30 Uhr | Abschlussdiskussion: Perspektiven der Vereinigungsgesellschaft
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