5. Hauptstadtgespräch: Bildungsföderalismus in der Finanzierungsfalle
- Bundesbeteiligung nur auf Kosten der Länderautonomie?
Podiumsdiskussion im historischen Kassensaal der KfW Bankengruppe am 10. Mai 2012; © alle Fotos: Stein-Gesellschaft/Raum 11_Laraia
Die Kulturhoheit und insbesondere die Bildungspolitik stehen seit 1946 im Zentrum der politischen Autonomie der Länder. Den Bildungsbereich kraftvoll selbst zu gestalten fällt gerade den strukturschwächeren Ländern in Zeiten der Finanzkrise und Schuldenbremse zunehmend schwerer. Die PISA-Studie hat eklatante Bildungsunterschiede in den Bundesländern deutlich gemacht.
Versuche des Bundes, im Rahmen der Föderalismusreform durch eine Mitfinanzierung in der Gestaltung von Schul- und Bildungspolitik mitzumischen, wurden in der Vergangenheit immer konsequent zurückgewiesen. Mit dem im Grundgesetz festgeschriebenen Verbot der Kooperation von Bund und Ländern haben Länder und Kommunen bis zuletzt ihre Kompetenzen verteidigt.
Die schlechte Finanzsituation der Länder und einschneidender Sparzwang als Folge der Schuldenbremse führen nun zu Überlegungen, dem Bund doch Handlungs- und Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich der Bildung zu eröffnen. Mit der Erweiterung der Gemeinschaftsaufgaben würden dem Bund Gestaltungsmöglichkeiten auf Kosten der Länderhoheit eingeräumt. Oder wäre es dem Bund alternativ zuzumuten, Geld zu geben, ohne auf dessen Verwendung Einfluss zu haben? Könnte eine Ergänzung der Verfassung hierzu die Lösung sein, die regelt, dass den Ländern zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden ohne ihre Bildungshoheit (zu sehr) einzuschränken?
Im 5. Hauptstadtgespräch am 10. Mai 2012 in Berlin gingen die Diskutanten diesen Fragen nach.
Hausherr Dr. Ulrich Schröder, Vorstandsvorsitzender KfW Bankengruppe
Nach Begrüßung durch den Hausherrn Dr. Ulrich Schröder, Vorsitzender des Vorstandes der KfW Bankengruppe und Präsidialmitglied der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, und durch Dr. Dietrich Hoppenstedt, Präsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, übernahm Thorsten Alsleben, Repräsentant der Unternehmensberatung Kienbaum in Berlin, die Gesprächsführung. Unter seiner Moderation diskutierten Eberhard Gienger, MdB, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und ausgebildeter Sportlehrer, als Vertreter für die Bundesseite, Jürgen Banzer, MdL und ehemaliger hessischer Minister, u.a. für Kultus, für die Länderseite sowie Prof. Dr. Joachim Wieland, Rektor der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, Gutachter-Experte für das Thema im Netzwerk Bildung der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2003 bis 2004 Mitglied der Föderalismuskommission und Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Ausgehend vom Pro und Contra zum Bildungsföderalismus eröffnete Thorsten Alsleben die zum Teil kontrovers geführte Diskussion über die Frage, wie im Bereich der Bildung Qualität gewährleistet werden kann – durch einheitliche Standards oder durch mehr Geld. Anschließend fragte er danach, wer für die Finanzierung der Bildung in den Ländern aufkommen soll und welche Rolle der Bund dabei spielen soll und kann. In der Diskussion ging es um Bundesuniversitäten sowie die Möglichkeit der Kommunen, Lehrer selbst einzustellen.
Bildungsföderalismus – was spricht dafür, was dagegen?
Im Bereich der Schulen
Die Podiumsdiskutanten Prof. Dr. J. Wieland, Jürgen Banzer, MdL , Eberhard Gienger, MdB und Moderator T. Alsleben (v.l.n.r.)
Vor einem sehr interessierten Fachpublikum aus den Bereichen Politik, Finanz- und Bildungsverwaltung sowie Gewerkschaften stellte Eberhard Gienger klar, dass es bundesweit durchaus erhebliche Bildungsunterschiede mit einem deutlichen Süd-Nord-Gefälle gäbe, sich bei einer bundesweiten Vereinheitlichung aber die Frage stelle, an wessen Niveau man sich angleichen solle. Er würde die Länderautonomie und den damit verbundenen Wettbewerb im Bildungsbereich lieber aufrecht erhalten.
Jürgen Banzer hielt Zentralität zwar für populär, jedoch nicht immer für erfolgreich. Seines Erachtens könne man mit differenzierten Systemen und Konzepten der Verschiedenheit der Menschen viel besser gerecht werden. Die unterschiedlichen Anforderungen bei einem Schulwechsel in ein anderes Bundesland seien zwar Hürden, jedoch zu bewältigen. Man müsse zugestehen, dass das Bildungssystem in Deutschland auch Schwächen habe. Kritisch sei, dass das „System Schule“ oft wichtiger genommen würde als der einzelne Schüler. Bei einem Ortswechsel oder bei Krankheit müssten einzelne Schüler viel gezielter durch die Schulen gestützt werden.
Der Bildungsföderalismus eröffne auch die Chance, wie Prof. Wieland ausführte, verschiedene Konzepte, Schularten und Arten von Universitäten auszuprobieren. Nicht zuletzt biete er die Möglichkeit, auf die verschiedenen Lebensverhältnisse und strukturellen Unterschiede in Deutschland gezielter einzugehen. Er persönlich würde somit die Vielfalt im Bundesstaat mit Blick auf die Schulen und die Hochschulen bevorzugen.
Gleichzeitig wurde aber festgestellt, dass die deutschen Bürger sehr starke Einheitsbestrebungen hätten, nicht zuletzt nach der Wiedervereinigung. Das Bedürfnis, Vielfalt zu erleben sei in Deutschland nicht ausgeprägt. Die unterschiedlichen Bildungssysteme würden gerade in Bezug auf berufliche Mobilitätserfordernisse als sehr hinderlich und nachteilig angesehen.
Im Bereich der Hochschulen
Im Bereich der Hochschule war es Ziel des Bologna-Prozesses, Studienabschlüsse international zu vereinheitlichen. Soweit die Theorie, denn Prof. Wieland stellte das Gegenteil fest: jede Universität stricke nun ihre eigenen Bachelor- und Master-Studiengänge zurecht mit der Folge, dass es fast keinerlei Wechselmöglichkeiten zwischen den Hochschulen mehr gebe. Die Hochschulen seien im Wettbewerb so stark auf ihre Profilierung und stetige Studentenzahlen angewiesen, dass sie sich möglichst stark von der Konkurrenz abgrenzen und undurchlässig sein wollten. Hier bestehe Handlungsbedarf.
Für Seite der Länder und Kommunen: Jürgen Banzer, MdL
Jürgen Banzer titulierte den Bologna- Prozess mit Blick auf die Erschwerung statt Erleichterung von Auslandssemestern als „europäischen Unfall“. Die Durchlässigkeit unter den Hochschulen müsste drastisch erhöht werden. Dies zu regeln müsse Aufgabe der Universitäten selbst sein; soviel Selbständigkeit müsse man ihnen zugestehen. Aus dem politischen Raum sollte ein Auftrag mit Erwartungen an die Hochschulen formuliert werden.
Die Hochschulen seien ganz unterschiedlich ausgestattet und stünden im fruchtbaren Wettbewerb untereinander. Über die Exzellenzinitiative des Bundes würden einzelne Hochschulen zu Leuchttürmen, andere verblieben im Durchschnitt. Alles Entwicklungen, die eher gegen den Bildungsföderalismus wirken würden.
Wie gewährleistet man Qualität in der Bildung?
Diskussionsleitend war hier die Frage, was Bildung bzw. Bildungsqualität ausmacht. Ist es die Quantität des Stoffs, die vermittelt wird, oder müsse man hier nicht besser nach Methoden und Ergebnissen fragen? (Banzer) Und sind die Bildungsdebatten hinfällig, nachdem die PISA-Studien über die Jahre eine stetige Verbesserung der Bildungsergebnisse nachgewiesen haben, so die Frage des Moderators in die Runde.
Für die Seite der Wissenschaft: Prof. Dr. J. Wieland
Prof. Wieland ging davon aus, dass sich die Verbesserung im Ranking bei PISA als Folge des „heilsamen Drucks“ des Wettbewerbs der Länder ergeben habe. Gleichzeitig stellte er klar, dass der Wettbewerb nur dann fair sei, wenn die Länder je nach sozialstrukturell unterschiedlichen Voraussetzungen über angemessene Ressourcen verfügten. Genau da bestehe Handlungsbedarf, damit Bildungsqualität gewährleistet werden könne. Der Bund habe hier nach Gienger z.B. bei der Finanzierung von Sprachkursen für Migrationskinder bereits nachgeholfen. Diese Förderung wurde nach Bedarf eingesetzt.
Gute Bildungspolitik durch stärkere Individualisierung?
Ist es hinnehmbar, dass im Föderalismus ein Abitur aus Bremen mit einem aus Bayern nicht vergleichbar ist? Ist es hinnehmbar, dass auch universitäre Abschlüsse keine vergleichbare Qualität haben? Wie kommt das im internationalen Raum an? Sind solche Bildungsdisparitäten als Ergebnis des föderalen Länderwettbewerbs einfach hinnehmbar? Müssten besser einheitliche Standards gesetzt und gewährleistet werden?
Jürgen Banzer lehnte die Diskussion über Bundesstandards in der Bildung rigoros ab. Das sei nach seinem Verständnis der genau falsche Ansatz im deutschen Bildungssystem. Man solle sich besser ein Beispiel an Staaten nehmen, die versuchten, das Maximale aus den jeweiligen Schülern herauszuholen, als nur nach immer neuen Standards, Klassenzielen, Schulzielen und Bildungszielen zu suchen. Mit dieser Standardisierungs- und Systemdiskussion verstelle sich Deutschland selbst den Weg zu Bildungserfolgen.
Für einen solchen individuellen Ansatz sei auch die Landesebene noch viel zu hoch angesetzt. Die Kommunen müssten hierfür in ihrer Selbständigkeit in der Schul- und Bildungspolitik massiv gestärkt werden. Landesweite Bildungsziele sollten als Rahmen formuliert, der Weg dahin jedoch individuell und schülerorientiert von den Kommunen bzw. Schulen organisiert werden. Die Schweiz biete gute Beispiele dafür.
Bessere Bildung durch mehr Geld?
Ausgangspunkt dieser Fragestellung war die Lissabon-Grundlage, wonach in Zukunft zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Bildung und drei Prozent für die Forschung ausgegeben werden sollen. Dies sah Jürgen Banzer als Anreiz für Deutschland.
Für die Seite des Bundes: Eberhard Gienger, MdB (links)
Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass mehr Geld nicht zwangsläufig zu besserer Bildung führen müsse. Das bewiesen die Zahlen aus Nord-Korea, wo pro Schüler weniger ausgegeben werde als in Deutschland oder die Zahlen aus Finnland, die nur geringfügig über den Werten aus Deutschland lägen.
Problematisch sei laut Jürgen Banzer bei diesen Vergleichen auch die Abgrenzung der Bildungsausgaben. Was ist z.B. die Schulsozialarbeit? Sind das Sozial-, Jugend- oder Bildungsausgaben? Oder die Frage: Wozu rechnet man Ganztagsschulen? Dienen sie nur der Bildung oder haben sie auch Anteile im Bereich der Sozialarbeit?
Eberhard Gienger führte aus, dass vom Bund 2012 12,9 Mrd. Euro – der höchste Betrag jemals – für Bildung und Forschung ausgegeben werde. Im Zeitraum von 2010 bis 2013 seien insgesamt 12 Mrd. Euro mehr in das Bildungssystem geflossen. Dies mache den Ansatz des Bundes deutlich, Deutschland zu einer Bildungsrepublik entwickeln zu wollen. Nicht Bodenschätze, sondern das human capital sei unsere Zukunft, in das investiert werden müsse.
Wer soll das Geld aufbringen?
Da Bildung Ländersache ist, wäre es richtig, wenn auch die Länder das Geld dafür aufbringen könnten. Das wäre laut Prof. Wieland verfassungsrechtlich auch möglich, wenn man das Umsatzsteueraufkommen so verteilen würde, dass sowohl der Bund als auch alle Länder zusammen ihre Aufgaben erfüllen könnten. Dazu habe es jüngst einen Vorstoß von Ministerpräsident Kretschmann aus Baden-Württemberg gegeben. Im Gegenzug zur Umsatzsteuerlösung sollten sich die Länder „unwiderruflich und fest und durchsetzbar“ verpflichten, das zusätzliche Geld wirklich für Bildung auszugeben.
Laut Prof. Wieland mache es für den Bund durchaus auch ökonomischen Sinn, sich an den Bildungsaufwendungen der Länder zu beteiligen, da er über die zu erwartenden Sozialabgaben der Bürger, die besser gebildet seien und somit auch mehr verdienen könnten, profitieren werde. Die Finanzierung von Bildung sei somit ein lohnendes Investment und weithin auch Gesellschaftspolitik. Ob der Bund jedoch bereit sei, die Länder als Wohltäter dastehen zu lassen ohne selbst einen unmittelbaren Vorteil daraus ziehen zu können, wurde dahingestellt. Eine Grundgesetzänderung sei für eine Umsatzsteuerumverteilung nicht erforderlich.
Gienger sieht den Bund bereits ausreichend beteiligt an der Bildungsfinanzierung
Eberhard Gienger wies aus der Perspektive des Bundes darauf hin, dass sich in den letzten Jahren die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern bereits von 70:30 auf 50:50 verschoben habe. Die Aufwendungen des Bundes für die Bildung lägen zurzeit bei ca. 7 Mrd. Euro. Wenngleich die 16 Bundesländer über 100 Mrd. Euro in die Bildung gäben, sei der Anteil des Bundes hier nicht unerheblich – insbesondere auch mit Blick auf den Hochschulpakt mit 2 Mrd. Euro. Seiner Meinung nach beteilige sich der Bund bereits ausreichend an der Bildungsfinanzierung.
Diesem Argument hielt Jürgen Banzer entgegen, dass das Thema Bildung zwischenzeitlich erheblich an Bedeutung gewonnen habe und sich die Aufgabenstellungen und somit auch die Ausgabenlasten in den Ländern verschoben hätten. Dies müsse über den Bund abgefedert werden, wenngleich er einräumte, dass es fraglich sei, ob in jedem Land das volle Geld tatsächlich für die Bildung ausgegeben wurde. Jürgen Banzer wies in diesem Zusammenhang auch auf die Ungerechtigkeiten des Länderfinanzausgleichs hin. Hessen müsse in den Länderfinanzausgleich einzahlen und andere Länder, die vom Finanzausgleich profitierten, würden z.B. die Kindergartengebühren auf Null setzen. Es sei sehr schwierig, den Bürgern aus Hessen zu vermitteln, weshalb das in Hessen nicht gemacht werden könne.
Wie sollte und kann sich der Bund einbringen?
Banzer bezog klar Position, besonders für die Kommunen
Für Jürgen Banzer ist die Frage der Finanzierung von Bildung nicht gleichzeitig eine Frage nach der Kompetenz in Sachen Bildung. Die Zuständigkeiten bei den Ländern seien gegenwärtig eindeutig, klar und gut geregelt und abgegrenzt. Diese Regelung sei ganz im Sinne des Föderalismus und der letzten Föderalismusreform und dürfe nicht durch ein Mitspracherecht des Bundes verwässert werden. Er sah den Bund ebenso als Teil des föderalen Prinzips wie die Länder und die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern vollkommen unabhängig von der Kompetenzfrage.
Ein aktueller Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes von Bundesministerin Annette Schavan soll das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufheben, allerdings nicht für den Bereich Bildung, sondern ausschließlich für die Bereiche Wissenschaft und Forschung.
Dies habe für die Länder den Vorteil, dass der Bund nun wieder Baumaßnahmen an den Hochschulen finanzieren könne, was nach der Föderalismusreform 2006 nicht mehr möglich war. Im Gegenzug habe der Bund nun Einflussmöglichkeiten bei der Zulassung und den Hochschulabschlüssen erhalten. Kritisch sei dabei, dass diese Bundesmittel, die auch für wissenschaftliche Vorhaben vorgesehen seien, nur sehr begrenzt und an sog. Elite-Universitäten vergeben würden. Wichtiges Kriterium für die Vergabe von Bundesmitteln sei die „überregionale Bedeutung und die internationale Leuchtkraft“.
Jürgen Banzer sah die Mischfinanzierung im Bereich von Wissenschaft und Forschung allerdings auch skeptisch. Für ihn sei die effizienteste Mittelverteilung dann gewährleistet, wenn zwischen Bund und Ländern vorab Ziele vereinbart würden und das Geld dann in die Verantwortung der Länder gegeben würde. Eine Grundgesetzänderung ginge für ihn daher in die falsche Richtung, sei aber nicht das Ende des Föderalismus. Die aktuelle Zuständigkeitsregelung hielt er auf jeden Fall für klarer und besser als die neue Lösung.
Eberhard Gienger erwähnte darauf hin, dass Bundesministerin Schavan in der Plenumsdiskussion am Morgen gesagt habe, dass die Grundgesetzänderung für sie nicht die entscheidende Rolle spiele, wenn auf anderem Weg – etwa in der Diskussion der Bund-Länder-Kommunen-Kommission – eine bessere Lösung möglich sei.
Wieland fordert als Staatsrechtler klare rechtliche Verhältnisse
Aus verfassungsrechtlicher Sicht bevorzugte Prof. Wieland dagegen klare Regelungen. Er sehe in der Neuregelung der Kompetenzen bzw. Kooperation zwischen Bund und Ländern ein rechtliches Nachvollziehen dessen, was tatsächlich schon bis 1969 außerhalb der Verfassung als „Fondswirtschaft“ und dann auf der Grundlage der Finanzverfassung üblich gewesen sei. In der Bundesstaatsreform sei es dann rechtlich beendet. Tatsächlich habe der Bund aber weiterhin mit den Ländern kooperiert: z.B. in der Finanzierung von Ganztagsschulen und Kinderbetreuung. Verfassungsrechtlich sei das problematisch, finde aber statt, da niemand klage. Dennoch fände er es als Verfassungsrechtler ehrlicher, wenn man die Praxis auch verfassungsmäßig absichern würde. Die Angst der Länder um ihre Kernkompetenzen könne er verstehen. Er wies darauf hin, dass selbst bei einer entsprechenden rechtlichen Ordnung weder der Bund noch ablehnende Länder zu einer Kooperation gezwungen seien.
Aus Sicht des Bundes sei, so Eberhard Gienger, das größte Problem, dass die Länder die Bundesmittel ressortungebunden erhielten und diese der Bildung häufig nicht zufließen würden. Für Prof. Wieland wäre eine solche Ressortbindung, die aber keine weiteren Vorgaben mache, durchaus umsetzbar. Jürgen Banzer ergänzte aus Sicht der Länder, dass es in der deutschen Nachkriegsgeschichte schon Beispiele gegeben habe, dass man sich auf freiwilliger Basis auf Bildungsziele geeinigt habe. Der Weg zu diesem Ziel müsse den Ländern nur offen bleiben. Allerdings müsse es eine Erfolgskontrolle zur Zielerreichung geben. Leistungsfähige Institutionen, die Bildungszielmessungen durchführten, gäbe es ausreichend.
Bundesuniversitäten durch Exzellenzförderung?
In der sich anschließenden Diskussion mit dem Auditorium fragte Dr. Fred Albrecht, Uni Potsdam und GEW Brandenburg, ob die Finanzierung der Exzellenzinitiativen aus Bundesmitteln nicht zu Bundesuniversitäten führen würde.
Eberhard Gienger konstatierte, dass Bundesuniversitäten im Moment vom Ministerium strikt abgelehnt würden. Eine konkrete Anfrage der FernUni Hagen wurde negativ beschieden, zumal sie stark vom Land Nordrhein-Westfalen unterstützt werde und zudem andere Geldquellen habe.
Jürgen Banzer hielt Bundesuniversitäten für systemfremd und sah darin keinerlei Sinn. Eliteförderung sei sinnvoll, aber „wohl dosiert“ und an verschiedenen Stellen, nicht bezogen auf eine Hochschule. Die Eliteförderung solle die Einrichtungen nicht trennen, sondern verbinden. Bundesuniversitäten seien ein Konzept, das in die verkehrte Richtung weise.
Prof. Wieland sah in der Entwicklung, Exzellenzförderung mit Bundesbeteiligung an einzelnen Hochschulen zu betreiben, eine Gefahr, die unbedingt politischer Steuerung bedürfe. Die Bundesmittel seien verlockend. Von Seiten der Wissenschaftsorganisationen wie Max-Planck-Gesellschaft, Fraunhofer-Gesellschaft, Leibniz-Gesellschaft und Helmholtz-Gesellschaft setze bereits ein Run auf Hochschulkooperationen ein, um in die Spitzenförderung zu kommen. Dies müsse dringend reguliert werden, damit nicht zu viele Bundesmittel für diesen Bereich abgezogen würden und die Länder durch die hohe Eigenanteilsfinanzierung für ihre Elite-Universitäten nichts mehr für die normalen Universitäten übrig hätten. Er sehe einen klaren Trend hin zu einer Bundesbeteiligung und glaube nicht, dass diese Entwicklung wieder zu stoppen sei.
Personalhoheit der Kommunen bei der Lehrereinstellung?
Klaus Rathert, Kuratoriumsmitglied der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, fragt nach
Der anschließende Diskussionsbeitrag von Klaus Rathert, Kuratoriumsmitglied der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, richtete sich auf die Möglichkeit für Kommunen, Lehrkräfte in Eigenverantwortung einzustellen. Seines Wissens gäbe es eine gescheiterte Initiative aus dem Landkreis Celle in Niedersachsen. Besonders die Lehrerschaft habe der Personalhoheit bei den Kommunen widersprochen.
Jürgen Banzer berichtete dazu von einem Vorstoß seinerseits beim Professorengespräch des Deutschen Landkreistages. Er hielte diese Handhabung auch für wesentlich effizienter in Hinblick auf die Differenziertheit der örtlichen Probleme. Die aktuelle Kultusbürokratie sei allerdings sehr starr. Ein Hybridsystem aus Vorgaben des Bundes und der Länder bzgl. der Bildungsziele und Abschlussniveaus – also der Inhalte – und der Zuständigkeit der Kommunen bzgl. der qualitativen Umsetzung – also der Organisation – fände er optimal. Zwischen den Schulen würde sich dann zweifelsfrei ein starker, aber hilfreicher Wettbewerb entwickeln, ebenso zwischen den Kommunen. Projekte in Hessen, wie die „Selbständige Schule“, gingen wenigstens tendenziell in diese Richtung.
Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas eine sympathische Runde
Zur Finanzierung müssten die Kultusetats der Länder auf die Kommunen umverteilt werden, wodurch die Länder wiederum entmachtet würden. Fraglich erschien, ob die Kommunen nur die Umsatzsteueranteile vom Bund bekämen, die den Ländern ohnehin schon zuständen oder ob der Bund den Kommunen auch das mögliche zusätzliche Geld aus weiteren Umsatzsteueranteilen durchreichen würde. Letzteres fände Prof. Wieland gerecht, da der Bund den Sozialstaat in den vergangenen 30 Jahren auf Kosten der Kommunen ausgebaut habe. Diese hätten die Soziallasten zu tragen und müssten ohne Refinanzierung unproportional hohe Aufwendungen dafür aufbringen.
Trotz des Konnexitätsprinzips sei der Bund in der komfortablen Lage, Gesetze zu machen und Rechtsansprüche begründen zu dürfen; die Lasten müssten aber von den Ländern und Kommunen getragen werden. Das Konnexitätsprinzip sehe vor, dass derjenige, der die Aufgabe habe auch die Ausgaben tätigen müsse. Die Ausgabelast folge also der Aufgabenlast. Die Aufgabe hätten die Länder, die Rechtsansprüche der Bürger begründe der Bund. Die Länder hätten diesen im Bundesrat allerdings großzügig zugestimmt,weil die Kommunen zahlen müssten!
Resümee
Die Vertreter der Politik – sei es von der Bundes- oder Landesebene – und Wissenschaft waren sich bei dieser Podiumsdiskussion völlig einig, dass der Bildungsföderalismus richtig ist und unbedingt beibehalten werden muss.
Alle Diskutanten befürworteten den Bildungsföderalismus, gleichzeitig mussten aber alle zugeben, dass er mit erheblichen Schwächen und Mängeln versehen ist. Nicht geklärt wurde die Frage, ob es sich hierbei „nur“ um operative Mängel handelt, die der Bürger ertragen muss und woran liegt es, dass in anderen europäischen Ländern das Bildungssystem seit Jahren einfach gut ist und das auch so wahrgenommen wird, während das in Deutschland nicht gelingt.
Der Bildungsföderalismus scheint somit ein Thema zu sein, das öffentlich anders diskutiert wird als privat. Es wurde an verschiedenen Stellen deutlich gesagt, dass die Bürger kein Interesse an Vielfalt in der Bildung haben. Sie erschwere die berufliche Mobilität, mache unsere Kinder zu Bildungssiegern und -verlieren, je nach dem in welchem Bundesland sie zur Schule gehen müssten.
Bzgl. der Finanzierung und Beteiligung des Bundes an den Entscheidungen der Länder gingen die Meinungen der Diskutanten allerdings auseinander. Während der Staatsrechtler Prof. Wieland dafür plädierte, die Verfassung der Realität anzupassen und dem Bund Finanzierungs- und Mitwirkungsanteile einräumen möchte, sahen es die Politiker eher pragmatisch. Jürgen Banzer als Ländervertreter hielt die Verfassungsänderung für nicht nötig. Nötig sei vielmehr eine Neuregelung der Aufteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern. Er sah die Priorität darin, die Kompetenzen der Länder im Bildungsbereich uneingeschränkt zu erhalten bzw. auf die Kommunen zu verlagern. Die Kommunen hätten den größten Sachverstand und Einblick in die lokalen strukturellen Erfordernisse. Nicht zuletzt dürfe nicht das System, sondern es müsse der einzelne Schüler am wichtigsten genommen werden. Also ein ganz individueller, stark föderaler und subsidiärer Ansatz, bei dem der Bund nur Rahmenvorgaben für die Bildungsziele macht, die er gemeinsam mit den Ländern erarbeitet. Die Umsetzung in den Ländern müsse unabhängig geprüft werden.
Eberhard Gienger dagegen sah die finanzielle Beteiligung des Bundes als ausreichend an und möchte bei zusätzlichen Bundesmitteln gewährleistet sehen, dass sie von den Ländern nur für den Bildungsbereich ausgeben werden. Er plädiert also für ein Mitwirkungsrecht des Bundes bei der Bildung in den Ländern. Bzgl. der Verfassungsänderung scheint der Bund mit Blick auf die Haltung von Bundesministerin Schavan auch eher pragmatisch und zielorientiert zu sein: entscheidend sei die beste Lösung.
Das kritische Fachpublikum aus den Bereichen Wissenschaft, Bildung und Finanzen
Denkt man das Thema weiter, so stellt sich die Frage, wie das Bildungssystem in Deutschland schnell, effizient und für die Bürger zufriedenstellend gestaltet werden kann. Das 5. Hauptstadtgespräch hat einen Beitrag zur verfassungsorientierten Grundsatzklärung geliefert. Aber wie kommen wir nun weiter? Was bringt uns den dringend benötigten Erfolg? Ein sicher sehr emotionales Thema, das schnell zu heftigen Reaktionen führt. Wichtig erscheint, dass schon im politischen Denken der Einzelne, der Bürger, das human capital, im Mittelpunkt steht und nicht (nur) das System.
Sylvia Monzel, Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V.
Programm
19:00 Uhr | Empfang
19:30 Uhr | Begrüßung
Dr. Ulrich Schröder | Vorsitzender des Vorstandes der KfW Bankengruppe
Dr. Dietrich H. Hoppenstedt | Präsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft
19:45 Uhr | Diskussion
Eberhard Gienger | MdB, Stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Jürgen Banzer | MdL, Staatsminister a.D.
Prof. Dr. Joachim Wieland | Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer
Moderation
Thorsten Alsleben | Hauptstadt-Repräsentant Kienbaum Consultants International
21:15 Uhr | Imbiss
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