Hauptstadtgespräche

27.05.2019: 18.30 Uhr | Deutscher Sparkassen- und Giroverband
Charlottenstr. 47 | Berlin-Mitte

Gleichwertigkeitskommission auf der Zielgeraden


von Dr. Klaus Ritgen, Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V.

 

alle Fotos: © Stein-Gesellschaft/P. Himsel

 

 14 Hauptstadtgespräch Kopfbild  Prof. Dr. Hans-Günter Henneke im Gespräch mit den Staatssekretären Dr. Markus Kerber und Dr. Hermann Onko Aeikens (v.r.n.l.)(v.l.n.r.)



Kaum etwas wird auf der politischen Bühne derzeit so intensiv diskutiert wie die Frage der Herstellung und Bewahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet. Dabei ist das Thema keineswegs neu, sondern stand in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder ganz oben auf der Agenda. So etwa unmittelbar nach der deutschen Wiedervereini­gung, woran Helmut Schleweis,
Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), erinnerte, oder auch Ende der 1960er Jahre, als das Grundgesetz um die beiden Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) und „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) erweitert wurde (Art. 91a GG), ein Datum, auf das der Präsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, Dr. Dietrich H. Hoppen­stedt, aufmerksam machte. Beide Redner sprachen vor einem zahlreich erschienenen Publi­kum, das die Stein-Gesellschaft für den Abend des 27.5.2019 – dem Tag nach der Europawahl – zu ihrem 14. Hauptstadtgespräch in das Berliner Gebäude des DSGV eingeladen hatte.

 

Die Veranstaltung stand unter dem Titel „Gleichwertigkeitskommission auf der Zielgeraden“, was der Tatsache geschuldet war, dass nach der ursprünglichen Planung just an diesem Tag der Abschlussbericht der am 26.9.2018 eingesetzten Kommission für gleichwertige Lebens­verhältnisse hätte veröffentlicht werden sollen. Auf dem Podium saßen mit dem Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Hermann Onko Aeikens und dem Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Dr. Markus Kerber hoch­rangige Vertreter von zwei der drei Bundesressorts, die in der Gleichwertigkeitskommission den Vorsitz innehaben. Moderiert wurde die Runde erneut von Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistags und Vize-präsident der Stein-Gesellschaft, der auch der Kommission als Mitglied angehört.

 

Zeitpunkt und Teilnehmer der Runde waren also gut gewählt und hätten die Chance geboten, dem Publikum nicht nur einen unmittelbaren Eindruck in die Arbeit der Kommission, sondern auch einen ersten Blick auf ihre Ergebnisse zu verschaffen. Ersteres ist hervorragend gelun­gen, Letzteres nur sehr bedingt, lag doch der Abschlussbericht wider Erwarten nicht nur noch nicht vor, sondern ließen eine ganze Reihe der Äußerungen der beiden Staatssekretäre nur den Schluss zu, dass sich die Bundesregierung in ihrer Bewertung der Ergebnisse, zu denen die sechs Arbeitsgruppen gekommen sind und die den Bundesressorts Anfang Mai übermittelt worden waren, alles andere als einig ist. Nicht zuletzt die Frage der Finanzierung und Setzung von Prioritäten dürfte dabei eine entscheidende Rolle spielen.


Aeikens versuchte, die eingetretene Verzögerung ins Positive zu wenden, als er bemerkte, die Intensität, mit der sich die Bundesregierung mit den Ergebnissen der Arbeitsgruppen aus­einandersetze, und insbesondere die Tatsache, dass sich die Kanzlerin sowie der Vizekanzler in die Beratungen eingeschaltet hätten, zeige, wie wichtig das Thema genommen werde. Wirk­lich zu überzeugen vermögen solche Erklärungen freilich nicht, wenn man sich – was Henneke tat – noch einmal in Erinnerung ruft, vor welchem Hintergrund die Kommission ins Leben ge­rufen worden war und wie sich der zeitliche Ablauf seither darstellt.


 14 Hauptstadtgespräch Grußworte des Hausherrn Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes

 

Die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“


Die Wurzeln der Gleichwertigkeitskommission reichen bis in das Jahr 2016 und stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Ergebnissen der seinerzeitigen Landtags­wah­len, bei denen die AfD vor allem, aber nicht nur im Osten Deutschlands erstmals zweistel­lige Ergebnisse erzielen konnte. Abgesehen von den unmittelbaren Folgen der Flüchtlings­krise, die – wie sich im Verlauf des Abends zeigte – in ihren Nachwehen bis heute eine Rolle spielen, wurde und wird dieses Erstarken einer populistischen Partei am rechten Rand des politischen Spektrums mit dem Eindruck vieler Menschen im ländlichen Raum erklärt, die ihre Situation als abgehängt wahrnehmen und um den Verlust ihrer Heimat fürchten. „Wir haben verstanden“ ist die Botschaft, die seither seitens der etablierten Parteien und namentlich auch seitens der Bundesregierung zu vermitteln versucht wird, die (Wieder-)Herstellung bzw. Bewahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse das insoweit zentrale Politikfeld und die Ein­setzung der ent­sprechenden Kommission das Signal, die Dinge entschlossen und über alle staatlichen Ebe­nen hinweg – neben einer Reihe von Bundesressorts gehören auch Vertreter der Länder und der kommunalen Spitzenverbände der Kommission an – entschlossen in An­griff nehmen zu wollen. Immerhin hatte nicht zuletzt die Bundeskanzlerin im Umfeld der Bun­destagswahl mehr­fach betont, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sei neben der Digitalisierung das wichtigste Thema der dieser Jahre.


Allerdings erwies sich schon die Einsetzung der Kommission als mühsam. Bereits im Rahmen der „Jamaika“-Verhandlungen für eine mögliche Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP fest verabredet und dann auch prominenter Gegenstand des Koalitionsvertrags zwischen CDU/CSU und SPD, dauerte es seit der Bundestagswahl gleichwohl ein Jahr, bis die Kommis­sion zu ihrer ersten (und bisher einzigen) Sitzung zusammentrat und dabei sechs Arbeits­grup­pen zu den Themen „Kommunale Altschulden“ (AG 1), „Wirtschaft und Innovation“ (AG 2), „Raumordnung und Statistik“ (AG 3), „Technische Infrastruktur“ (AG 4), „Soziale Daseins­vor­sorge und Arbeit (AG 5) sowie „Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft“ (AG 6) ins Leben rief. Insbesondere in Gestalt der Altschulden-Problematik war das Themenspektrum der Kommission damit im Vergleich zu den ersten konzeptionellen Überlegungen unmittelbar nach der Wahl deutlich erweitert und auf Fragen erstreckt worden, die nicht unerheblichen politischen Sprengstoff bergen, was schon den Prozess der Konstituierung und – wie sich jetzt zeigt – auch den Prozess der abschließenden Verständigung über das weitere Vorgehen im Umgang mit den Ergebnissen der Kommission erschwert hat.

 

Die eingetretenen Verzögerungen verhinderten nicht nur, dass die Kommission ihre Beratun­gen vor der Europawahl und – vielleicht noch wichtiger – den gleichzeitig in neun Bundes­län­dern stattfindenden Kommunalwahlen vom 26.5.2019 hat abschließen können, was an­ge­sichts der durchaus vorzeigbaren Ergebnisse, die in einzelnen Arbeitsgruppen erzielt wur­den und auf die noch näher einzugehen sein wird, sicher ein kraftvolles politisches Signal im Sinne des „Wir schaffen das“ gewesen wäre. Vielmehr steht aktuell zu erwarten, dass auch vor der nächsten Runde der Landtagswahlen im Osten der Republik Anfang September nicht mit definitiven, fühlbaren Ergebnissen der Kommissionsarbeit zu rechnen ist. Damit drohen, wie Henneke deutlich machte, der politische Impuls und die politischen Hoffnungen, die mit der Einsetzung der Kommission verbunden waren, weitgehend wirkungslos zu verpuffen.

 

 

Ausgangslage

 

Die beiden Staatssekretäre versuchten allerdings – und das durchaus mit Recht – dem Ein­druck entgegenzuwirken, in den letzten Monaten seien keine Anstrengungen zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse unternommen worden. Das gilt nicht zuletzt hinsichtlich der Defizitanalyse und der Klärung der Ausgangslage.

 

Kerber etwa machte gleich zu Beginn der Diskussionsrunde klar, die Bundesregierung stimme in ihrer Gesamtheit darin überein, dass den Fragen des ländlichen Raums wieder stärkere Bedeutung eingeräumt werden müsse. Wenn marktgetrieben bestimmte Leistungen der Daseinsvorsorge wie Krankenhäuser, Schulen, Pflegedienste und natürlich auch schnelles Internet in den ländlichen Räumen nicht oder nicht ausreichend bzw. nicht in entsprechender Qualität zur Verfügung stünden, komme es zwangsläufig zur Abwanderung in die Ballungs­gebiete; das gelte nicht zuletzt für junge Menschen. Auch Aeikens bemerkte, es tue Deutsch­land nicht gut, wenn die Jungen die ländlichen Räume aus wirklichen oder vielleicht auch nur empfundenen Gründen für unattraktiv halten und ihren Lebensmittelpunkt in die Städte ver­lagern würden. Das führe dort zu erheblichen Knappheitsproblemen – etwa im Hinblick auf den Wohnraum, führe aber auch in den ländlichen Räumen zu hohen volkswirtschaftlichen Kosten, weil die notwendigen Infrastrukturen für immer weniger Menschen mit hohem Aufwand aufrechterhalten werden müssten. Den Ratschlag einiger Wissenschaftler, ganze Dörfer gleichsam vom Netz zu nehmen, könne und werde die Politik aber natürlich nicht aufgreifen. Die Erfahrungen, die man bspw. mit der GAK gemacht hätte, würden vielmehr zeigen, dass mit gezielten und sinnvollen Fördermaßnahmen viel erreicht werden könne. Diesen Punkt hatte auch Hoppenstedt in seinen einleitenden Worten erwähnt und dabei – wie übrigens auch Aeikens – auf das Emsland verwiesen, das Dank entsprechender staatlicher Unterstützung von einem einst abgehängten zu einem heute prosperierenden Landstrich geworden sei.

 

FVSG 14
Präsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V.,Dr. Dietrich H. Hoppenstedt

Kerber ergänzte, es sei an der Zeit, dass Deutschland – im übertragenen Sinne – neu ver­messen werde. Als Gemeinschaftsprojekt seines Hauses sowie des BMEL entstehe daher gerade ein „Deutschlandatlas“, der bald vorge­stellt werde. Die Analyse habe ergeben, dass die demografische Entwicklung in Deutschland sehr unterschiedlich verlaufe. Im Süden, namentlich in Bayern, Baden-Württemberg und Teilen Hessens sei ein deutliches Bevölke­rungswachs­tum zu verzeichnen, im Osten gehe die Bevölke­rung zurück und für den Norden des alten Bundesgebiets sei noch nicht entschieden, in welche Richtung die Bevölkerung sich entwi­ckeln werde. Deutlich werde auch, dass die Problemlagen örtlich sehr disparat seien. Darauf müsse die Politik eingehen und dürfe sich nicht auf Meta- oder Globalprobleme kon­zentrieren; sonst drohe eine Legitimationskrise.

 

Das – so Kerber – sei auch der Hintergrund, vor dem die Entstehung der neuen Heimatabtei­lung im BMI gesehen werden müsse, die schon Gegenstand des 13. Hauptstadtgesprächs war und die namentlich auf die Initiative von Bundesminister Seehofer zurückgehe. Der Aufbau dieser Abteilung sei eine große Herausforderung gewesen; immerhin seien mittlerweile 80 Stellen besetzt worden. Auch inhaltlich sei es nicht einfach, dem Querschnittsthema „Heimat“ in der Zusammenarbeit mit anderen Bundesressorts die erforderliche Geltung zu verschaffen. So müsse bspw. das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur davon überzeugt werden, dass es sinnvoll sei, die bisherigen Kriterien zur Förderung von Verkehrsinfrastruk­tu­ren zu überdenken. Bislang werde nur dort gefördert, wo eine bestimmte Zahl von Menschen lebe und dementsprechend eine bestimmte Verkehrsmenge zu erwarten sei. Das werde den Bedürfnissen der vom demografischen Wandel besonders geprägten Gebiete nicht gerecht; dort müsse es ja gerade darum gehen, mit Blick auf die Zukunft und ungeachtet der aktuellen Verhältnisse Erreichbarkeit auch angesichts sinkender Bevölkerungszahlen sicherzustellen. Kerber erinnerte an den Ausbau der Stadt Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die End­haltestellen der S-Bahn-Linien auch weit in den ländlichen Raum hinaus vorangetrieben wor­den waren.

 

 

Sicherstellung einer flächendeckenden Breitband- und Mobilfunkversorgung

 

Damit hatte die Diskussion ihren ersten thematischen Schwerpunkt erreicht: die infrastruktu­relle Ausstattung der ländlichen Räume, namentlich mit schnellem Internet sowie mit flächen­deckenden Mobilfunkverbindungen. Dass der fehlende Zugang zu solchen Angeboten einer der wesentlichen Gründe dafür sein könnte, sich „abgehängt“ zu fühlen, hatte Aeikens schon eingangs betont. Kerber hatte davon gesprochen, dass in der Heimatabteilung des BMI auch darüber nachgedacht werde, ob vor dem Hintergrund, dass bestimmte Leistungen der Daseinsvorsorge vom Markt nicht flächendeckend erbracht würden und die Marktteilnehmer auch keinen entsprechenden Auftrag dazu hätten, das Verhältnis von Markt und Staat nicht ein Stück weit neu gedacht werden müsse. Daran knüpfte Henneke mit der Frage an, ob es ungeachtet der vielen Vorteile, die ein Markt mit freiem Wettbewerb biete, möglichweise ein Fehler gewesen sei, wenn der Staat sich in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge aus der Leistungserbringung zurückgezogen und auf eine bloße Gewährleistungsfunktion beschränkt habe und ob es nicht insbesondere falsch gewesen sei, wenn für das wichtige Feld der Tele­kommunikation mit Art. 87f GG eine entsprechende (Selbst-)Beschränkung staatlicher Aktivi­täten sogar in den Rang einer Verfassungsnorm erhoben worden sei.

 

FVSG 14
Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Markus Kerber

Kerber erinnerte daran, dass die Privatisierung auch von Leistungen der Daseinsvorsorge weltweit das Thema der 1990er Jahre gewe­sen sei. Dabei sei es nicht nur um einen schlan­keren Staat, sondern auch um eine effi­zientere Leistungserbringung gegangen. Namentlich im Telekommunikationssektor habe sich – insoweit stimmte er Henneke zu – die besondere Leis­tungsfähigkeit des Marktes in der Folge ja auch gezeigt. Niemand wolle doch zurück in die Telefonzelle. Mit dem An­spruch einer flächendeckenden Versorgung würde der Markt aller­dings überfrachtet. Werde ein öffentliches Gut privatisiert, sinke zwar regelmäßig der Durch­schnittspreis, zu dem entsprechende Leistungen verfügbar ge­macht werden, es hätten aber nicht mehr alle Zugang zu ihnen. Zur Schließung dieser Ver­sorgungslücken sei staatliches Engagement gefordert. Dieses werde den Ersatz erheblicher finanzieller Mittel notwendig ma­chen, doch handele es sich dabei nicht um konsumtive, sondern investive Aufwendungen. Auch müsse über den Regulierungsrahmen und insbesondere über die Möglichkeiten der gemeinsamen Nutzung vorhandener Infrastrukturen nachgedacht werden. Es sei nicht sinn­voll, wenn man­cherorts drei Mobilfunkmasten nebeneinander stünden und an anderer Stelle – insbesondere in ländlichen Räumen – die Unternehmen aus nachvollziehbaren wirtschaftli­chen Gründen nicht bereit seien, auch nur die Investitionskosten für einen Mast zu stemmen. Zunehmend würden auch im Bereich der Wirtschaft die sozialen Kosten einer fehlenden Ver­sorgung er­kannt und es wachse die Akzeptanz für Eingriffe des Staates. Erforderlich seien intelligente Lösungen, die etwa im Bereich des Mobilfunks einerseits für echte Flächen­deckung auch jen­seits der bewohnten Gebiete und der Verkehrsstraßen sorgten, die anderer­seits aber den Wettbewerb möglichst wenig einschränkten. Ein solches Instrument sei bspw. eine staatliche Infrastrukturgesellschaft, von der zu erwarten sei, dass sie Eingang in die Position der Bun­desregierung zu den in der AG 4 erzielten Arbeitsergebnissen finden werde. Auch wenn noch nicht alle Einzelheiten geklärt seien, werde sich diese Gesellschaft insbeson­dere darauf kon­zentrieren, durch den Bau neuer Masten entsprechende Lücken im Netz zu schließen.

 

Henneke fasste diese Ausführungen prägnant zusammen, als er meinte, Daseinsvorsorge im und durch Wettbewerb habe sich also im Prinzip, aber eben nicht überall und in jeder Hinsicht bewährt. Das erinnere ihn an den Begriff der „Wettbewerbsergänzungsfunktion“, von dem im Zusammenhang mit dem Aufgabenbereich der Sparkassen immer wieder die Rede sei.

 

 

Neuordnung der Förderung für die ländlichen Räume?

 

Mit seinem Hinweis, dass die Förderung des Breitband- und Mobilfunkausbaus im ländlichen Raum den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel erforderlich mache – Gelder, die bislang nicht im Haushalt etatisiert seien – leitete Henneke die Diskussion auf einen weiteren Punkt: die Neuausrichtung der institutionellen Förderung für den ländlichen Raum bzw. für struktur­schwache Regionen, wobei Einigkeit herrschte, dass man diese beiden Begriffe nicht gleich­setzen dürfe, dass es also auch prosperierende ländliche Räume und notleidende Ballungs­gebiete gebe. Schleweis hatte insoweit einleitend davon gesprochen, am besten sei es, von „Kommunen mit besonderen Förderbedarfen“ zu sprechen. Mehrfach bekräftigt wurde auch, dass die beiden existierenden Gemeinschaftsaufgaben – also die GRW und die GAK – sich im Grundsatz als Instrumente des punktuellen Zusammenwirkens zwischen Bund und Ländern bewährt hätten und als Förderinstrumente lediglich geschärft, nicht aber grundlegend umge­staltet werden müssten.

 

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Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Dr. Hermann Onko Aeikens

Was zunächst die GRW angeht, so stand hier die Frage im Mittelpunkt, nach welchen Kriterien künftig die förderfähigen Gebiete identifiziert wer­den sollten. Henneke äußerte die Erwartung, dass es zur Einbeziehung bislang nicht geförder­ter Gebiete – insbesondere in Nordrhein-Westfa­len – kommen und der Finanzbedarf insgesamt steigen werde. Die beiden Staats­sekretäre be­harrten gleichwohl darauf, dass es nicht in erster Linie um eine Erhöhung der Mittel, sondern vor allem um ihre bedarfsgerechtere Verteilung ge­hen müsse. Man könne, so brachte es Kerber auf den Punkt, nicht bei der Grundrente über eine Bedürftigkeitsprüfung streiten und bei der Ausge­staltung der künftigen Förderung auf eine solche Prüfung verzichten wollen. Aeikens machte deut­lich, dass insbesondere Regionen, denen es wirt­schaftlich gut gehe, von der Förderung ausge­nommen werden könnten. Eine Neuverteilung der vorhande­nen Fördermittel sei notwendig; es könne nicht darum gehen, einfach weitere Gebiete in die Förderung aufzunehmen, im Übrigen aber alles beim Alten zu belassen. Eine solche Umge­staltung sei selbstverständlich politisch schwierig durchzusetzen, aber notwendig, um über­haupt politische Gestaltungsfähig­keit zu behalten. Henneke blieb gleichwohl skeptisch und erinnerte daran, dass sich bspw. auch das Kommunalinvestitionsförderungsgesetz in erster Linie an finanzschwache Kommu­nen gerichtet habe, davon gleichwohl aber auch Städte wie Hamburg oder Kommunen in Län­dern wie Bayern und Baden-Württemberg profitiert hätten.

 

Bezüglich der GAK bestand dagegen auf dem Podium ein hohes Maß an Übereinstimmung, dass eine Ausweitung des zulässigen Förder-gegenstands dieser Gemeinschaftsaufgabe drin­gend erforderlich sei. Aeikens ging ausführlich auf die Entwicklung der GAK ein und beschrieb anschaulich, welche Restriktionen sich daraus ergeben, dass jede darauf gestützte Förderung einen agrarstrukturellen Bezug haben müsse. Diese strikte Ausrichtung auf die Belange der Landwirtschaft (und des Küstenschutzes) sei zu einer Zeit richtig gewesen, als es in West­deutschland noch mehr als 1 Mio. landwirtschaftliche Betriebe gegeben habe. Heute sei die Bedeutung der Landwirtschaft für die Entwicklung der ländlichen Räume dagegen deutlich zurückgegangen. Es gebe bundesweit nur noch 260.000 Betriebe. Lediglich im Osten seien manche Regionen noch vornehmlich landwirtschaftlich geprägt. Um dort bäuerliche Strukturen und lebendige Dorfkerne zu erhalten, bedürfe es anderer Instrumente, insbesondere einer Änderung der Bodengesetzgebung, die eine Konzentration der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen in wenigen Händen verhindere. Die GAK vor diesem Hintergrund in ihrer bisherigen Struktur beizubehalten, sei daher ein Anachronismus. Die Gemeinschaftsaufgabe müsse viel­mehr so weiterentwickelt werden, dass eine sinnvolle Förderung des ländlichen Raums im Ganzen, also auch jenseits landwirtschaftlicher Strukturen möglich wäre.

 

Henneke erinnerte an die diesbezüglich auch seitens des Deutschen Landkreistags vorgeleg­ten Vorschläge und bedauerte, dass es nicht schon im Rahmen der jüngsten Verfassungs­änderungen zu einer Verständigung über die Neugestaltung des Art. 91a GG gekommen sei. Zugleich machte er deutlich, dass es nicht um eine schrankenlose Ausweitung der Gemein­schaftsaufgabe gehen dürfe, die am Ende den gesamten Bereich der Daseinsvorsorge um­fasse. Ziel sei keine ausgreifende, kompetenz- und verantwortungsverschleiernde Misch­verwaltung zwischen dem Bund und den Ländern, sondern eine Fassung des Art. 91a GG, die es ermögliche, punktuelle Förderansätze dort zu verwirklichen, wo es notwendig sei.

 

Aeikens machte deutlich, dass es auch gegen eine solche zurückhaltende Modifizierung der GAK politische Widerstände gebe, nicht zuletzt von denjenigen, die befürchteten, künftig weniger Förderung zu erhalten. Er hoffe aber, dass dieser Widerstand – auch im Lichte der jüngsten Wahlergebnisse – überwunden werden könne.

 

 

Weitere Themen der Gleichwertigkeitskommission im Überblick

 

Der zeitliche Rahmen des Abends machte es unmöglich, auf sämtliche Arbeitsgruppen der Gleichwertigkeitskommission in aller Breite einzugehen. Deshalb fokussierte der Moderator die Diskussion auf jene zwei Themen, die die kommunalen Spitzenverbände auch in ihrem Gespräch mit der Bundeskanzlerin am 26.2.2019 als besonders wichtig identifiziert hatten, nämlich die infrastrukturelle Versorgung der ländlichen Räume sowie die Neuausrichtung der Gemeinschaftsaufgaben, während die Gegenstände der weiteren Arbeitsgruppen nur gestreift werden konnten.

 

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Das Thema fand große Resonanz beim zahlreich erschienenen Fachpublikum

Davon, dass nach Auffassung von Kerber eine „Neuvermessung“ Deutschlands erforderlich sei, um die Datenbasis zu den tatsächlichen Lebens­verhältnissen zu verbessern, war schon die Rede. Damit sind zugleich diejenigen Fragen angesprochen, die in der Arbeitsgruppe der Gleichwertigkeitskommission thematisiert wur­den, die sich mit Fragen der Raumordnung beschäftigten. Kerber fordert insoweit, dass der Bund seine gesamtstaatliche analytische Kom­petenz stärken müsse, wozu der geplante „Deutschlandatlas“ einen ersten Schritt dar­stelle. Dieser werde für viele überraschende Ergebnisse zu Tage fördern und u.a. auch zei­gen, dass die Zahl der sich tatsächlich in Deutschland aufhaltenden Personen mit 83 oder vielleicht auch 84 Mio. Menschen deutlich über den bisherigen Annahmen liege. Das würde der „Arbeitshypothese“ einer beständig sinkenden Bevölkerungszahl widersprechen. Die Ursache für dieses überraschende Bevölkerungswachstum liege in erster Linie in der Zuwanderung aus den Mitgliedstaaten der EU, die „entlang der gesamten Fähigkeitskette“ erfolge. Mit Blick auf die EU-Zuwanderung, noch stärker aber bezüglich der humanitären Zuwanderung, müsse die Frage gestellt und diskutiert werden, ob diese Formen der Zuwanderung einen „ertragsseiti­gen“ oder einen „kostenseitigen“ Charakter haben würden. Henneke griff diesen Gedanken auf und erinnerte daran, dass die Länder und die Kommunen nach wie vor auf die Unterstüt­zung des Bundes bei der Bewältigung der finanziellen Folgen der Flüchtlingskrise angewiesen seien. Die insoweit im Koalitionsvertrag vorgesehenen 8 Mrd. € für die gesamte Legislatur­periode würden dafür sicher nicht ausreichen.

 

Nur kurz gestreift wurden auch die Ergebnisse der AG 5 („Soziale Daseinsvorsorge und Arbeit“). Deren Bericht, so der Eindruck, setzt sich aus einer Vielzahl von Forderungen zusam­men, deren Sinnhaftigkeit und insbesondere deren Finanzierbarkeit noch eingehend geprüft werden müssen. Aeikens etwa äußerte Zweifel, ob es wirklich erforderlich sei, jede Arztpraxis barrierefrei auszugestalten oder ob nicht vordringlich das Thema des ländlichen Ärztemangels angegangen werden müsse.

 

Breiteren Raum nahm dagegen die Rolle des Ehrenamts ein, das Gegenstand der Arbeits­gruppe „Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft“ war. Einigkeit bestand, dass ehren­amtliches Engagement eine Ankerfunktion für die ländlichen Räume habe und daher gefördert werden müsse. Kerber kündigte insoweit Rechtsvereinfachungen sowie die Gründung einer Serviceagentur an. Aeikens machte deutlich, dass sein Haus im Rahmen des Bundes­programms ländliche Entwicklung bereits die Ausbildung von Ehrenamtslotsen fördere. Auch Henneke unterstrich die Bedeutung des Ehrensamts und die Rolle der Landkreise bei seiner Förderung.

 

Mit Blick auf die AG 1 („Kommunale Altschulden“) verwies Henneke nur knapp darauf, dass es auch innerhalb der „kommunalen Familie“ unterschiedliche Vorstellung in der Frage gebe, wie dieses Problem zu lösen sei. Kerber machte deutlich, dass der Bund insoweit in erster Linie die Länder in der Verantwortung sehe, zumal eine ganze Reihe von ihnen bereits ent­sprechende Schritte eingeleitet habe.

 

 

Wie geht es weiter?

 

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Angeregte Diskussionen vor und nach dem Podiumsgespräch

Zum Ende der lebhaft geführten Diskussionsrunde erinnerte der Staatssekretär aus dem BMI daran, dass zwei Drittel der Menschen in Deutschland in Siedlungsstrukturen bis zu 100.000 Einwohner leb­ten – ein Umstand, auf den – wie Henneke berich­tete – auch die Kanzlerin jüngst auf dem Spar­kassentag hingewiesen hatte. Das müsse, so Kerber, auch den überwiegend in den großen Städten lebenden Meinungsträgern immer wieder vor Augen geführt werden.

 

Gerade deshalb – so Henneke – brauche es im Hinblick auf die Arbeit der Gleichwertigkeits­kommission dringend einer Kommunikationsstrate­gie, und zwar noch vor den nächsten Wah­len. Die Kommunen hätten sich bislang mit der Formulie­rung von Forderungen und Erwartun­gen zurück­gehalten und würden auch nichts Unmögliches erwarten. Gleichwohl sei es drin­gend erforderlich, dass von der Kommission ein „Ruck“ aus­gehe. Menschen, die abgehängt seien oder sich vielleicht auch nur so fühlten, müsse wieder eine Möglichkeit der Identifikation gegeben werden.

 

Ob diese Botschaft bei allen Verantwortlichen angekommen ist, bleibt freilich zu bezweifeln. Aus dem Bundeskanzleramt war jedenfalls im Nachgang zu der Veranstaltung zu erfahren, dass die „Schlussfolgerungen“ der drei Vorsitzressorts erst Ende Juni an die Länder versandt werden sollen. Das Bundeskabinettwird sich damit am 10.7.2019 auseinandersetzen und Empfehlungen beschließen, die dann die Grundlage für den weiteren Diskussionsprozess mit den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden sein sollen. Vor dem Herbst ist mit­hin nicht damit zu rechnen, dass belastbare Ergebnisse vorliegen.



 

Programm


18:30 Uhr | Empfang


18:45 Uhr | Begrüßung
Helmut Schleweis | Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes e.V.
Dr. Dietrich H. Hoppenstedt | Präsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V.


19.00 Uhr | Podiumsdiskussion
Dr. Hermann Onko Aeikens | Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Dr. Markus Kerber
Staatssekretär im Bundesministerium der Innern, für Bau und Heimat

Moderation
Prof. Dr. Hans-Günter Henneke | Vizepräsident der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V. und Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages


anschließend Imbiss

 

 

Die Veranstaltung fand dankenswerterweise in den Räumen und mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes statt.


 

Den zusammenfassenden Bericht finden Sie als pdf-Datei zum Download hier!

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