Bildung, Staat, Gesellschaft im 19. Jahrhundert
Mobilisierung und Disziplinierung
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Karl-Ernst Jeismann
Politische Revolutionen und Industrialisierung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert werden als die elementarsten Ursachen für die Umwandlung der ständischen Gesellschaft mit prinzipiell ungleichen Rechten und stabilen Sozialstrukturen in die durch rechtliche Gleichheit, politische Partizipation und soziale Mobilität charakterisierte bürgerliche Gesellschaft und den ihr entsprechenden Verfassungsstaat angesehen. Im letzten Jahrzehnt hat die Tatsache verstärkt die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden, dass in diesem Modernisierungsprozess sich nicht nur die Inhalte, sondern auch die Organisationsformen des Erziehungswesens grundlegend wandelten. Jetzt erst entstand ein alle Heranwachsenden erfassendes öffentliches Unterrichtswesen, das, vom Staat beaufsichtigt und gesteuert, nicht nur die Aufgabe hatte, für die Sozialisation der künftigen Bürger zu sorgen, sondern darüber hinaus auch ihre soziale Position, ihren Weg, ihr Verhalten und ihre Erwartungen in dieser neuen Gesellschaft mitbestimmte. Diese tiefgreifende Umwandlung der Art, wie die sich modernisierende Gesellschaft im öffentlichen Schulwesen eine neue Form der Erziehung der Kinder schuf, kann man als Folge oder Begleitphänomen der wirtschaftlichen und politischen Veränderungen verstehen.
Ziel des 3. Nassauer Gesprächs, das als interdisziplinäres Symposium im Februar 1987 in Bad Sassendorf stattfand, war es, den verwickelten und ambivalenten Erscheinungen an konkreten Beispielen verschiedenster Art nachzugehen. Die Thesen und Referate riefen eine eingehende Diskussion hervor. Es lag weder in den Möglichkeiten noch in der Absicht eines solchen Symposiums, die These von der wechselweise aufeinander bezogenen Mobilisierung und Disziplinierung, Lösung und Festigung sozialer Verhältnisse durch das moderne Bildungswesen systematisch aufzuarbeiten. Vielmehr waren es Beiträge, in denen jüngere Wissenschaftler auf ihrem speziellen Forschungsgebiet der generellen Frage des Themas nachgingen. So entstand eher eine beispielhafte Überprüfung der Polarität der Themenstellung an einzelnen, wichtigen Problemkreisen.
(Auszug aus der Einleitung zum Tagungsband)
Programm
Sektion I
Bildung, Erziehung und Schule im Alten Preußen. Ein Beitrag zum Thema: "Nichtabsolutistisches im Absolutismus"
Dr. Wolfgang Neugebauer (Berlin)
Pädagogische Lehrveranstaltungen als Veranstaltung des Staates. Die Verwissenschaftlichung und Verfachlichung der Pädagogik als Symptom und Instrument der Modernisierung des Bildungssystems in Österreich in den Jahrzehnten um 1800
Dr. Elmar Lechner (Klagenfurt, Österreich)
Stabilisierung versus Mobilisierung
Dr. Gerald Grimm (Klagenfurt, Österreich)
Staatswirksamkeit in Österreich und Preußen im 18. Jahrhundert. Problemskizze am Beispiel des niederen Bildungswesens
Dr. Wolfgang Neugebauer (Berlin)
Sektion II
Modernisierung unter konservativen Vorzeichen. Zur preußischen Bildungspolitik in der Ära Beckedorff
Dr. Franzjörg Baumgart (Bochum)
Preußische Schulreform zwischen politischer Restauration und wirtschaftlicher Notwendigkeit 1817-1837
Zur Bildungspolitik unter Minister von Altenstein und Johannes Schulze
Dr. Peter Mast (München)
Zur Entwicklung der Nationalerziehungskonzeption Friedrich Fröbels
PD Dr. Heinz Stübig (Marburg)
Sektion III
Abitur, Staatsdienst und Sozialstruktur. Rekrutierung und Differenzierung der Schicht der Gebildeten am Beispiel der sozialen Herkunft und beruflichen Zukunft von Abiturienten preußischer Gymnasien im Vormärz
Dr. Sigrid Bormann-Heischkeil und Prof. Dr. Karl-Ernst Jeismann (Münster)
Emanzipation und Disziplinierung. Verwaltungs-, ideen- und sozialgeschichtliche Aspekte höherer Bildung im Herzogtum Braunschweig des 19. Jahrhunderts
Dr. Bernd Schönemann (Münster)
Die preußischen Provinzial-Gewerbeschulen im Spannungsfeld zwischen Förderung und Begrenzung sozialer Mobilität
Dr. Christiane Schiersmann (Hannover)
Sektion IV
Normierung und Emanzipation. Die Berufung auf den Geschlechtscharakter bei der Institutionalisierung der höheren Mädchenbildung
Dr. Margret Kraul (Hannover)
Ursachen und Konsequenzen der Verkopplung des Mädchenschulwesens mit dem höheren Schulsystem in Preußen zu Beginn des 20. Jahrhunderts
PD Dr. Bernd Zymek (Bochum)
Sektion V
Geschichtsunterricht im Königreich Bayern zwischen deutschem Nationalgedanken und bayerischem Staatsbewußtsein
Dr. Hans-Michael Körner (München)
Monarchische Präventivbelehrung oder curriculare Reform? Zur Wirkung des Kaiser-Erlasses vom 1. Mai 1889 auf den Geschichtsunterricht
Dr. Hilke Günther-Arndt (Oldenburg)
Die Mathematik - ein Hauptfach in der Auseinandersetzung zwischen Gymnasien und Realschulen in den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts
Dr. Gert Schubring (Bielefeld)
Sektion VI
Grenzen der beruflichen Organisation. Zur Verbandsentwicklung des Oberlehrerstandes im 19. Jahrhundert
Prof. Dr. Dr. Sebastian Müller-Rolli (Hildesheim)
Gymnasiallehrer mit "Verständnis und Taktgefühl für die heranwachsende Jugend". Die "standesgemäße" Ausbildung der Gymnasiallehrer im Seminar des wilhelminischen Gymnasiums (1890-1918)
Prof. Dr. Hans Jürgen Apel (Köln)
Elementarschullehrer zwischen Disziplinierung und Emanzipation. Aspekte eines internationalen Vergleichs (1870-1940)
Dr. Rainer Bölling (Essen)
Sektion VII
Historiker als Beruf. Die Herausbildung des Karrieremusters "Geschichtswissenschaftler" an den deutschen Universitäten von der Ausklärung bis zum klassischen Historismus
Dr. Horst Walter Blanke (Bochum)
Die Professionalisierung der akademisch gebildeten Volkswirte in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts
PD Dr. Rüdiger vom Bruch (München)
Sektion VIII
Begabungstheorie, Begabungsforschung und Bildungssystem in Deutschland 1890-1918
Dr. Peter Drewek (Berlin)
Die Last der Autonomie. Über Widersprüche zwischen Selbstbeschreibungen und Analysen des Bildungssystems seit dem 19. Jahrhundert
Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth (Frankfurt am Main)
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